Die Straße der Zukunft, autoleer
In betäubender Monotonie ereilt uns der gleiche Ruf seit Jahrzehnten, mehr Straßen braucht das Land, Bundesstraßen, Autobahnen, Stadtringe. Wieso eigentlich? Weil es immer mehr Autos auf der Straße gibt, heißt es. Ist das wirklich so? Gibt es wirklich mehr Autofahrer_innen? Bei weniger als zwei Kindern je Familie sind die Zeiten lange vorbei in denen Deutschland demographisch gewachsen ist. Die Bevölkerungszahl stagniert, in manchen Jahren ist sie auch schon gesunken. Nur der große Zustrom von Rußlanddeutschen und osteuropäischer Juden hat verhindert, das die Zahl der Deutschen schon in den 1990er Jahren deutlich zurückging. Da diese Phase vorbei ist, wird die Bevölkerung in Zukunft eher weiter schrumpfen.
Wenn also weiterhin ein Auto auf jeden zweiten Deutschen kommt, dann wird auch der Autoverkehr von ganz alleine zurückgehen. Das ist der Segen der demographischen Wende.
Doch fahren die Deutschen in Zukunft noch genausooft und genauso weit? Das ist nicht anzunehmen.
Die Löhne sind seit 1990 in fast allen Branchen gesunken.1 Selbst ohne Hyperinflation, mit ganz normaler Inflation, werden sie weiterhin sinken. Das hört niemand gerne, und deshalb wird es selten laut gesagt, aber die Statistiken sind hier recht deutlich.
Die Familien, Paare und Singles, die sich ein Auto leisten können werden deshalb zukünftig immer weniger werden. Und wenn sie ein Auto besitzen, werden sie weniger Geld für Wartung, Winterreifen und Benzin aufbringen können. Wahrscheinlich werden sie also das Auto öfter stehen lassen oder gleich ganz verzichten.
Schließlich wird die deutsche Bevölkerung im statistischen Mittel immer älter. Das kann sich auch nicht ändern, solange weniger als 2 Kinder je Frau geboren werden, weil so immer mehr Mütter und Väter als Kinder und Enkel vorhanden sein werden. Die Überalterung ist also keine vorübergehende Krise sondern eine langfristige Tatsache. Solange es keine besseren Gründe gibt, Kinder zu gebären und aufzuziehen als heute, wird das auch so bleiben. Eine Entwicklung, die in ganz Europa inklusive Rußland und Japan vorherrscht. Warum auch nicht? Wer will schon drei Kinder aufziehen, wenn schon die Eltern kaum von der angebotenen Lohnarbeit leben können?
Für die Autofrage heißt das, immer mehr Menschen haben zwar einen Führerschein, sind aber aufgrund von Altersgebrechen, die sich ab 60 oder 70 Jahren üblicherweise einzustellen pflegen, gar nicht mehr fähig, zu fahren. [freilich fahren manche trotzdem, aber die Kilometerleistung wird dennoch zurückgehen und irgendwann bleibt das Auto ganz stehen, hoffentlich freiwillig..]
Statistisch sprechen also drei Gründe für in Zukunft immer leerere Straßen: die Deutschen (und für die meisten Europäer gilt das ebenso) werden seltener, ärmer und älter. Das klingt für manche ein wenig traurig, aber es hat Vorteile, zum Beispiel den, dass wir uns das Geld für neue Autobahnen, Bundesstraßen und Stadtringe sparen können. Diese werden so verwaist und öde sein wie die Ostseeautobahn und andere Projekte „Aufbau Ost".
Für wie viele Menschen das Auto heute schon nicht mehr unabdingbar ist, zeigt sich anschaulich im Winter. Wer an einem Vormittag, nachdem für 24 Stunden kein Schnee gefallen ist, die schneebedeckten Autos zählt, weiß wie viele Menschen ihr Auto stehen gelassen haben. In Berlin habe ich an einem Januarmorgen 57 schneebedeckte und 52 ohne Schnee gezählt.[1] Der öffentliche Verkehr, der Fuß- und der Radverkehr müßten also attraktiver sein, und das Autofahren vielleicht ein wenig weniger attraktiv, und sehr viele Menschen würden jetzt schon auf das Auto verzichten. Statt Straßen neu zu bauen, könnte manche Schnellstraßen in einen verkehrsberuhigten Bereich zurückgebaut werden. Zum besseren Leben der Anwohner. Vielleicht hätten die wieder größere Neigungen sich fortzupflanzen, wenn der Sohnemann und die Tochter nicht ständig angebrüllt weden müßten „Achtung, Auto!"